Weihnachten war gestern, heute ist einer der spannendsten Tage ((Ja, ich übertreibe maßlos. Das wird die Hitze in meinem Büro sein.)) im Leben von Internetforschern: Die neueste ARD/ZDF-Onlinestudie ist da!
Bereits im Juni waren erste Ergebnisse vorab in einer Pressemitteilung bekannt gegeben worden; nun sind die verschiedenen Aufsätze, die auch in den Media-Perspektiven erscheinen, online verfügbar. Wie üblich, gibt es die grundsätzliche Einordnung der Ergebnisse zur Internet-Nutzerschaft (Birgit van Eimeren/Beate Frees: Internetverbreitung: Größter Zuwachs bei Silver-Surfern) und zu den Offlinern (Maria Gerhards/Annette Mende: Ein Drittel der Deutschen bleibt weiter offline). Jeweils gesondert gehen Texte auf die Geräte- und Verbindungsausstattung (Martin Fisch/Christoph Gescheidle: Technische Ausstattung der Onliner in Deutschland) sowie auf die Bewegtbildnutzung im Internet ein.
Besonders interessant für meine derzeitigen Projekte ist der Aufsatz von Martin Fisch und Christoph Gescheidle zum „Mitmachnetz Web 2.0: Rege Beteiligung nur in Communitys„. Beim ersten Drüberschauen entdecke ich bereits eine Vielzahl von spannenden Daten und Informationen, von denen ich für den Moment nur einige wenige herausgreifen will:
- Die Wikipedia (60%) und Videoportale (51%) werden inzwischen von mehr als der Hälfte aller Onliner zumindest gelegentlich genutzt; Fotoplattformen und private Netzwerkplattformen immerhin noch von etwa einem Viertel. Die Nutzeranteile aller genannten Anwendungstypen sind im Vergleich zum Vorjahr auch angestiegen. Rückgänge verzeichnen berufliche Netzwerkplattformen und Weblogs (jeweils auf 6%); Bookmark-Dienste und Spielewelten sind ebenfalls noch Nischenphänomene, wenn man die gesamten deutschen Onliner als Bezugsgröße wählt. [Update: Ich hab gesondert nochmal die Änderungen in den Nutzungsanteilen berechnet.]
- Teenager sind die aktivsten Nutzer von Web 2.0-Anwendungen ((Interessanterweise war eine Erkenntnis der Gruppendiskussionen im Rahmen unseres „Jugendliche und Web 2.0“-Projekts, dass die Jugendlichen mit dem Begriff in aller Regel überhaupt nichts anfangen können – für sie ist das einfach „das Internet“)): Mit Ausnahme der beruflichen Netzwerkplattformen weisen die 14-19jährigen überall die höchsten Nutzeranteile auf; 91% nutzen Wikipedia zumindest selten, 90% Videoplattformen, 68% private Netzwerkplattformen.
- Mit Ausnahme der Netzwerkplattformen ist die Nutzung der „großen“ Web 2.0-Anwendungen weiterhin für die Mehrheit passiv-rezipierend. Wenn man die Werte aus Abb.2 auf S. 361 mal umrechnet, kommt man zu folgenden Verhältnissen: Fotocommunities: ~70% passive, 30% aktive Nutzer (=Fotos hochladen); Videoportale: ~94% passive, 6% aktive Nutzer (=Videos einstellen); Wikipedia: ~95% passive, 5% aktive Nutzer (=Beitrag/Artikel schreiben).
- Drei Viertel der deutschen Onliner kennen den Begriff „Weblogs“ nicht; interessant auch, dass von den verbleibenden 24 Prozent Blog-Kennern etwa zwei Drittel „weitgehend“ oder „voll und ganz“ der Aussage zustimmen, Weblogs würden überschätzt und das meiste sei eher unwichtig. Knapp die Hälfte (47%) meint aber auch, Blogs enthielten interessante Informationen (Tab 8., S. 360).
- Die Autoren erklären (S. 363) den Rückgang der Blognutzung u.a. mit dem Erfolg von Communities/Netzwerkplattformen; meines Erachtens eine sehr plausible Überlegung. Ich würde sie um die These ergänzen, dass der Rückgang der aktiven Blognutzung vor allem den Bereich der privat-persönlichen Onlinejournale betrifft. Deren Nutzer finden auf Plattformen wie studiVZ oder mySpace ebenfalls Optionen für Identitäts- und Beziehungsmanagement in persönlichen Öffentlichkeiten, können aber noch etwas besser das Ausmaß und die Zusammensetzung der eigenen sozialen Netzwerke kontrollieren und „überwachen“ (im Sinne von ’sichtbar machen‘). Sollte diese These zutreffen, wäre es interessant zu prüfen, ob Blogs mittelfristig dann doch eher in Richtung „publizistische Angebote“ wandern, also vor allem thematisch spezialisierte Öffentlichkeiten schaffen, die dann von der Reichweite, Themenauswahl und -präsentation zwischen den etablierten Medien und den persönlichen Mikro-Öffentlichkeiten der Netzwerkplattformen liegen würden.
Bei den 14-19jährigen: „Mit 120 Minuten täglich verbringen sie mehr Zeit im Netz als mit fernsehen (100 Minuten)“.
Das sieht nach einem Schwarzen Freitag für das Fernsehen aus.
Hui hui hui , da gibt’s ja Einiges zu lesen. Danke für den Hinweis. Wie bei allen Studien und Statistiken sind die Zahlen und v.a. ihre Interpretationen mit höchster Vorsicht zu genießen. Aber Entwicklungen in die ein oder andere Richtung im Vergleich zu den Zahlen aus den vergangenen Jahren lassen durchaus interessante Schlüsse zu.
Ich würde nicht soviel quantitative Zahlen aus den 1.186 Onlinenutzer ab 14 Jahre hochrechnen …
Beispiel Nutzung Blogs:
0 % tägliche Nutzer/Nutzung von Weblogs
2 % wöchentliche Nutzung
2 % monatliche
2 % seltener
d.h. die regelmäßige (zumind. wöchentliche) Nutzung von Blogs reduziert sich von (2007) 3% auf (2008) 2% und die gelegentliche Nutzung von Blogs halbiert sich fast von (2007) 11% auf (2008) 6%.
Beispiel Internet-Nutzung
Die Nutzungsdauer bei Frauen hat (innerhalb eines jahres) nach diesen Zahlen extrem zugelegt hat und zwar um 34, 3 % (von 102 auf 137 Minuten) und bei Männern fast ebenso extrem abgenommen hat und zwar um 24,1 % (von 133 auf 101 Minuten), während die Altersaufteilung dem Trend folgt …
Vielleicht ist noch gar nicht Weihnachten?
@Hugo: Die Sache mit den Umschwüngen bei der Nutzungsdauer hat sich ja inzwischen geklärt, es gab einen Dreher bei der Darstellung auf der Webseite (im .pdf der Studie es korrekt dargestellt; demnach kaum Veränderung).
Den Punkt mit den Blogs bzw. dem „hochrechnen“ versteh ich nicht – was ist genau der Einwand?
Was Hugo sicher meint: Jedem Statistiker kräuseln sich die Nackenhaare, wenn jemand aus einer Stichprobe von 1.186 auf eine Grundgesamtheit von etlichen Millionen hochrechnen will.
Ich habe die ARD/ZDF Studie viele Jahre geschätzt und benutzt, weil sie helfen konnte Entwicklungen über einen längeren Zeitraum zu betrachten und darzustellen. Das mit dem Zahlendreher bei der Nutzungsdauer hat sich ja jetzt geklärt (btw., es ist nicht das *.pdf der Studie, sondern des Beitrags in der Zeitschrift Media Perspektiven 7/2008 ) …
Um das zweite Beispiel aufzugreifen, es ist nicht der publizierte Rückgang von 3 auf 2 % der regelmäßig Leser von Blogs (es könnten ja statt 2,5x jetzt 2,4x sein) sondern der gelegentlichen Nutzer von 11 % auf 6 % innerhalb eines Jahres (die Zahl der Blogleser ist in allen anderen Studien, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden eh höher. Auch das müsste bei ein Plausibilitätsprüfung irgendwie auffallen (und falls es korrekt ist, eine Erklärung erfahren).
Wie schon gesagt, mit der Stichprobengröße (2008: 1.802 Befragten / 1.186 Onlinenutzer ab 14 Jahre) eignet sich die ARD/ZDF Online-Studie eher für qualitative Aussagen und Zeitreihen-Betrachtungen und man sollte weniger Aufwand darauf verwenden Studien, wie (N)onliner und TNS Infratest (mit rd. 52 Tausend Befragten) zu beweisen, dass man’s mit seiner Schichtung besser könnte.
@Jan: wo gibt finde ich es den die Schichtung und mathematische Beschreibung der Modelle?
Ah, interessante Diskussion über die Güte von Stichproben/Hochrechnungen – ich habe es in einem neuen Beitrag aufgegriffen, weil meine Antwort etwas länger wurde…
http://www.schmidtmitdete.de/archives/199
@Hugo: Meinst Du ganz allgemein Modelle zur Berechnung von statistischen Fehlern? Webformulare finden sich hier
http://americanresearchgroup.com/moe.html
und hier
http://www.raosoft.com/samplesize.html
Beim letzten Link sind auch Formeln und Hinweise auf weiterführende englische Bücher.
Zur Technik der geschichteten Stichprobenziehung habe ich auf die Schnelle keine Literaturtipps (vielleicht jemand meiner fabelhaften Leser/innen?), aber in den Standardeinführungen könnte was zu finden sein:
http://tinyurl.com/6z3hzs oder http://tinyurl.com/69nb72
nein, weniger. Die habe ich schon während meiner Statistikvorlesung gehört (und damals schon kaum verstanden).
In einem der vier Artikel der Studie (wo gibt es eigentlich die Studie?) wurde berichtet , dass die Stichprobe (mehrmals?) angepasst wurde .. an die MA Radio oder so und da wollte ich ‚lesen‘, mit welchen Abweichungen bei dieser Stichprobengröße und Grundgesamtheit und durch die einzelnen Anpassungen zu rechnen ist.
@Hugo: Ah, die Schichtung wird im Artikel von van Eimeren/Frees wie folgt beschrieben:
„Die erfassten Daten aus der national repräsentativen Stichprobe der Onliner und Offliner wurden im Zuge der Auswertung nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland auf Basis der Ergebnisse der Media Analyse 2008 Radio I gewichtet.“
Aber ich kann ehrlich gesagt nicht genau sagen, wie da vorgegangen wurde – vielleicht kann hier auch einer meiner Leser/innen aushelfen.
Zur Frage: „In einem der vier Artikel der Studie (wo gibt es eigentlich die Studie?)“
Die Studie gibt es meines Wissens nach nicht in einem langen Dokument. Es war in den letzten Jahren immer so, dass Ergebnisse der Umfrage in verschiedenen Aufsätzen in den Media-Perspektiven veröffentlicht werden:
– ein allgemeiner Überblick zu den Onlinern (van Eimeren/Frees)
– einen Überblick zu den Offlinern (Gerhards/Mende)
– in den letzten Jahren zudem noch einen Aufsatz zum Web 2.0 (Fisch/Gscheidle).
Ausserdem gelegentlich Sonderauswertungen; zum Beispiel auch zu „OnlineNutzerTypen“ (Oehmichen/Schroeter).
Die .pdf auf der Seite http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/ entsprechen dabei den Aufsätzen aus der Zeitschrift Media-Perspektiven (http://www.media-perspektiven.de/fachzeitschrift.html).
@Jan, Danke für die Info – ich lege es dann xP
@Jan: Du schreibst: „Die Studie gibt es meines Wissens nach nicht in einem langen Dokument. Es war in den letzten Jahren immer so, dass Ergebnisse der Umfrage in verschiedenen Aufsätzen in den Media-Perspektiven veröffentlicht werden.“
Die berühmte ARD-ZDF-Onlinestudie – Nur ein Phantom, das in verschiedenen Aufsätzen von einigen Auserwählten zitiert und interpretiert werden darf?
Was ist die Studie dann wert? Nicht viel mehr als die Verlautbarungen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS) der DDR in den 1980er Jahren, interpretiert in der Parteizeitung „Neues Deutschland“.
Kann doch eigentlich nicht sein, oder?
@Blogtrainer: „Die berühmte ARD-ZDF-Onlinestudie – Nur ein Phantom, das in verschiedenen Aufsätzen von einigen Auserwählten zitiert und interpretiert werden darf? (…) Kann doch eigentlich nicht sein, oder?“
Nein, denn so ist es ja auch nicht – die Artikel der Media-Perspektiven sind frei zugänglich, und mit der gesonderten Seite ard-zdf-onlinestudie.de gibt es zusätzlich noch eine Anlaufstelle, die auf diese Artikel verlinkt und einige Daten „quer“ zu den Fachaufsätzen in den Media-Perspektiven aufbereitet (über die linke Navigationsleiste). Die Ergebnisse sind also freier verfügbar, als so manch andere Web 2.0-Studie, die von Agenturen etc. erstellt und nur in einer Pressemitteilung veröffentlicht wird, für deren ausführlichen Text man dann aber zahlen muss.
Bis ich ein wenig gelästert habe … wurde die veröffentlichten Studienergebnisse 2008 nur rezipiert.
Der Zahlenverdrehen bei Männlein / Weiblein in der Nutzungsdauer wurde mit dem Hinweis, lese doch gefälligst den Beitrag in Media Perspektiven, bevor Du was schreibt’s hilfreich beantwortet …
Der für mich überraschende Rückgang der Internetnutzungsdauer (trotz Videonutzung, Community, etc.) (laut dieser Studie) seit 2003 wurde überhaupt nicht wahrgenommen … geschweige denn diskutiert
Ein Rückgang bei den (mindestens gelegentlich) Bloglesern von 11 % auf 6 % innerhalb eines Jahres von niemanden auf Plausibilität hinterfragt
Das die Nutzungsdauer einmal in der Übersicht mit 120 Min. und in einem der Beiträge (Seite 368) dann mit 126 Min. angegeben wird
und je nach Datenlage die Altersgruppenergebnisse einmal veröffentlich und einmal verschwiegen werden, jedenfalls nicht nachvollziehbar sind. e.g.
Internet nutzer (mind. gelegentlich)
Altersgruppe 50 – 59 jährigen: 6,2 Mio. oder 65, 7 % dieser Altersgruppe
Altersgruppe 60-plus jährigen: 5,1 Mio. oder 26, 4 % dieser Altersgruppe
Im einem Artikel zu Studie (siehe unten) wird dann auf Seite 332 ein zusätzliches Datum genannt:
In der Altergruppe der 60 – 79 jährigen würden jetzt 29,2 % dieser Altersgruppe das Internet gelegentlich nutzen (ich habe ‚versucht‘ das irgendwie umzurechnen)
Altersgruppe 60 – 79 jährigen: 4,5 Mio. oder 29, 2 % dieser Altersgruppe
Altersgruppe 80-plus jährigen: 0,6 Mio. oder 15, 4 % dieser Altersgruppe (Korrektur willkommen!)
(und das alles obwohl ja die Silver-Surfer die Premium-Zuschauer von ARD/ZDF sind … ;-) )
spricht dafür, dass die Macher der Studie sehr von sich überzeugt sind, aber wenig Interesse an eine Konversation haben … ich jedenfalls habe von ARD/ZDF oder Enigma GfK Medien- und Marketingforschung noch keinen Diskussionsbeitrag entdeckt.
Ich bin auch gerade über etwas gestolpert. Du schreibst:
„Wenn man die Werte aus Abb.2 auf S. 361 mal umrechnet, kommt man zu folgenden Verhältnissen: Fotocommunities: ~70% passive, 30% aktive Nutzer (=Fotos hochladen); Videoportale: ~94% passive, 6% aktive Nutzer (=Videos einstellen); Wikipedia: ~95% passive, 5% aktive Nutzer (=Beitrag/Artikel schreiben).“
Ich lese auf S. 363/364 aber:
„So rufen 51 Prozent der Onliner beispielsweise Inhalte auf Videoportalen ab, bereitgestellt werden diese aber von gerade einmal 3 Prozent der Onliner. (…) Web 2.0 bedeutet, Fotos ins Netz zu stellen, diese zu verschlagworten und zu bewerten – immerhin 7 Prozent der Onliner sind in dieser Weise
aktiv.“
Irgendwo liegt hier ein Hund begraben …
@Christiane: Die Angaben im Fazit von Fisch/Gscheidle beziehen sich auf alle Onliner (von denen sind 3% aktiv bei Wikipedia, etc.).
Ich wollte aber wissen, wie hoch der Anteil der Wikipedia-Nutzer (nicht aller Onliner) ist, die aktiv sind – also habe ich die 60% als Ausgangspunkt genommen; 3% Aktive (unter allen Onlinern) werden dann zu 5% (unter allen WP-Nutzern).
Etwas klarer geworden? :)
Danke, alles klar. Wobei ich dann doch direkt die Angaben von Wikipedia selbst nehmen würde statt umzurechnen. :)
:) Stimmt; Wikipedia war in meiner Antwort nur das Beispiel – insbes. bei den anderen Kategorien (die ja Sammelbegriffe für mehrere Plattformen sind) ist es sehr hilfreich, die Anteile aktiver Nutzer ermitteln zu können.
Ja, dein Rechenbeispiel zeigt, dass die Umrechnung plausibel ist.