Einige Notizen zu den rivva-Leitmedien

Heute ist bei carta ein interessantes Portrait von Frank Westphal, dem Macher von rivva.de erschienen. Das hat mich daran erinnert, dass ich seit einigen Tagen schon vorhatte, Ergebnisse einer kleinen Auswertung zu bloggen, die ich mit meiner studentischen Mitarbeiterin Jessica Kunert vor knapp einem Monat vorgenommen habe.

Im Kern ging es uns darum zu ermitteln, welches die Leitmedien für die deutschsprachige Blogosphäre sind, also woher die Nachrichten (im weiten Sinne verstanden) stammen, die in der Blogosphäre diskutiert werden. Dazu haben wir uns rivva vorgenommen – die Plattform scannt nicht die gesamte deutschsprachige Blogosphäre, sondern folgt „3.800 deutschsprachigen Quellen und 850 englischsprachigen. Im Pool befinden sich fast genau 150.000 Twitter-Accounts, von denen zurzeit etwa 50.000 aktiv verfolgt werden“ (Auskunft F. Westphal in einer mail an mich vom 5.3.20032010).

Rivva führt auf der gesonderten Seite „Leitmedien“ eine tagesaktuelle Auswertung, welchen Anteil einzelne Online-Angebote im Lauf der vergangenen 100 Tage an den Beiträgen auf Startseite von Rivva besitzen, also wieviel Prozent der Beiträge, die auf der Startseite von Rivva auftauchten (weil sie eine „Aufmerksamkeitsschwelle“ überschritten, indem sie von Blogs verlinkt oder getwittert wurden), von Spiegel Online, Netzpolitik.org o.ä. stammen. Für unsere erste Auswertung haben wir am 2.3.2010 die Daten entnommen und etwas näher untersucht:

  • Betrachtet man den prozentualen Anteil, den einzelne Angebote an den Meldungen auf der Startseite von Rivva aufweisen, lässt sich eine für vernetzte Öffentlichkeiten typische Verteilung feststellen – auf einige wenige Quellen konzentriert sich ein relativ hoher Anteil der Aufmerksamkeit: Aus den zehn Top-Quellen stammen zusammen genommen 28 Prozent aller Startseiten-Beiträge; die Top 100 Quellen (von insgesamt 588 aufgeführten Quellen) sogar 68 Prozent.

Die zehn aufmerksamkeitsstärksten Angebote im Rivva-Leitmedienindex

Rang Name Anteil an Beiträgen auf Startseite (in %)
1 SPIEGEL ONLINE 6,74
2 FAZ.NET 4,19
3 The Official Google Blog 2,76
4 ZEIT ONLINE 2,59
5 heise online News 2,49
6 netzpolitik.org 2,40
7 Artikel / sueddeutsche.de 2,03
8 CARTA 1,96
9 TechCrunch 1,43
10 Stefan Niggemeier 1,41

Stand: 2.3.2010

In einem nächsten Schritt haben wir uns die 100 führenden Quellen des Leitmedienindexes näher angesehen und anhand verschiedener Kriterien kategorisiert, nämlich Sprache; Anzahl und journalistischer Hintergrund der Autoren; Typ der Öffentlichkeit (s.u.) ((Eine eingehende Analyse, bspw. von Themenwahl, Präsentationsstil, redaktioneller Organisation oder Regelmäßigkeit der Veröffentlichungen der Quellen, haben wir aus Zeitgründen zunächst weg gelassen.)). Diese Auswertung erbrachte:

  • Etwa zwei Drittel der 100 führenden Quellen sind deutschsprachige Angebote (70), denen 30 englischsprachige Quellen gegenüberstehen.
  • Etwa ein Drittel der Quellen (34) sind Angebote, die nur von einer Person betrieben werden. 45 Angebote haben – soweit erkennbar – einen festen Stamm von Autor/innen, und 21 Angebote haben „Magazin-Charakter“, d.h. es gibt wechselnde Autor/innen.
  • Ein Drittel der Quellen (32) lässt sich dem Typ „persönliche Öffentlichkeit“ zurechnen, in dem Themen vorrangig nach Kriterien der individuell-persönlichen Relevanz ausgewählt und aufbereitet werden. Jeweils etwa ein Viertel der Quellen sind neue publizistische Öffentlichkeiten (z.B. Netzpolitik oder Spreeblick; 23), sind Bestandteil publizistischer Angebote, die auch ausserhalb des Internets etabliert sind (also z.B. Spiegel Online, tagesschau.de oder auch Blogs im Onlineauftritt der FAZ; 22) oder Angebote im Rahmen von unternehmerischer bzw. organisationaler Öffentlichkeitsarbeit bzw. PR (23).
  • Bei etwas mehr als der Hälfte aller Quellen (54) war kein professionell-journalistischer Hintergrund des/der Autor/innen erkennbar. Bei den übrigen 46 Angeboten war dies entweder durch die Art des Angebots (z.B. Online-Auftritt eines etablierten Mediums) oder durch Selbstcharakterisierungen (im Impressum, einem Selbstverständnis o.ä.) ersichtlich, wobei in neun Fällen journalistische und nicht-journalistische Autor/innen gemeinsam verantwortlich zeichnen.

Bereits erwähnt habe ich, dass die 100 populärsten Quellen für etwa zwei Drittel aller Beiträge (68 Prozent) auf der Startseite von Rivva verantwortlich sind. Schlüsselt man den Anteil auf, den die vier publizistischen Typen an diesen Beiträgen haben, ergibt sich folgendes Bild: 41 Prozent (aller Beiträge der „Top 100“-Quellen auf der Startseite) entfallen auf etabliert-publizistische Angebote, 23 Prozent auf neue publizistische Angebote, 19 Prozent auf persönliche Öffentlichkeiten und 17 Prozent auf Quellen aus dem Bereich der PR oder Organisations- bzw. Unternehmenskommunikation. Achtung: Wir haben nicht den „long tail“ der übrigen 488  „Startseiten-Artikel-Lieferanten“ untersucht, sodass man diese Prozentwerte nicht auf alle Beiträge verallgemeinern kann, die in der Blogosphäre diskutiert werden.

Was kann man nun mit diesen Erkenntnissen anfangen? Zunächst mal ist es ein weiterer Beleg dafür, dass blogbasierte Öffentlichkeiten mit professionell-journalistischen Öffentlichkeiten verschränkt sind; nimmt man noch den Befund aus einer früheren kleinen Studie hinzu, dass weniger als zehn Prozent der Verweise von Blogs auf massenmediale Quellen explizit kritisch sind, sondern es überwiegend reine Referenzierungen oder sogar Empfehlungen sind, erhärtet sich der Befund, dass Blogs die Aufmerksamkeit für journalistische Inhalte noch vergrößern.

Allerdings machen die Online-Angebote etablierter (=auch ausserhalb des Internets vertretener) Medien nur einen kleinen Teil der Quellen aus; neben neue publizistische Anbieter tritt auch der neue Typ der „persönlichen Öffentlichkeit“, bei dem einzelne Personen ohne journalistische Vorbildung oder expliziten Anspruch Themen liefern, die von anderen Blogs aufgegriffen und diskutiert werden.

Interessant wäre es natürlich, diesen Schnappschuss von Anfang März 2010 um weitere Analysen zu ergänzen, also z.B. Verläufe über Monate oder Jahre hinweg zu identifizieren (Werden etablierte Medien als Quelle wichtiger? Werden deutsche oder englischsprachige Quellen wichtiger?) oder aber die Kategorien zu verfeinern, anhand derer die „Leitmedien der Blogosphäre“ klassifiziert werden können. Mal sehen, wann ich dazu komme.. ;-)

21 Kommentare

  1. >>(Auskunft F. Westphal in einer mail an mich vom 5.3.2003).<< Ich nehme an gemeint ist 2010?

    Sehr spannende Studie, hoffe auf mehr!

  2. Finde die Auswertung auch sehr spannend und würde mich freuen, wenn es da eine noch tiefer gehende Fassung von gebe. Hast du da was geplant, Jan?

    Als PR-ler mit journalistischer Ausbildung und Verantwortlicher eines Firmenblogs, das es in die Rivva-Charts geschafft hat, interessiert mich natürlich, wo du solche „kommerziellen“ Angebote einsortierst.

  3. Und, was bin ich jetzt?

    „persönliche Öffentlichkeit“ oder „neue publizistische Öffentlichkeit“ oder gar was ganz anderes? ;)

  4. Author

    @amprekord: Ja, 2010 ist richtig, korrigier ich noch.

    @Andreas: Firmenblogs u.ä. haben wir als „unternehmerische bzw. organisationale Öffentlichkeitsarbeit bzw. PR“ einsortiert; das 1&1-Blog ebenfalls – allerdings nicht „mit journalistischem Hintergrund“, weil das so nicht erkennbar war (und „PR-Blogs“ für uns nicht per se journalistisch waren).

    @Jens: Das Pottblog dürfte unter „persönlicher Öffentlichkeit“ firmieren, weil Du es ja privat als Einzelperson betreibst. Es war allerdings zum Erhebungszeitpunkt nicht in den Top 100.

  5. Die von Jens angesprochene Differenzierung zwischen persönlicher Öffentlichkeit und neuer publizistischer Öffentlichkeit würde mich auch noch ein wenig mehr interessieren. Kommt es dabei tatsächlich (allein) darauf an, ob man ein Angebot „privat als Einzelperson“ betreibt? Was ist in diesem Sinn „privat“? Woran lassen sich die persönlich-individuellen Relevanzstrukturen festmachen?

  6. @SH: Das Konzept der persönlichen Öffentlichkeiten entwickele ich ausführlicher im Buch „Das neue Netz“ (http://www.dasneuenetz.de/). In aller Kürze: Sie entstehen an denjenigen Stellen im Netz [Blogs, v.a. aber auch auf Netzwerkplattformen], wo Menschen Informationen

    (a) nach dem Kriterium der persönlichen Relevanz auswählen (anstelle die im Journalismus institutionalisierten ‚objektiven‘ Relevanzkritierien, Nachrichtenfaktoren, news values o.ä. zugrunde zu legen),

    (b) sie (vorrangig) das eigene soziale Netzwek (strong und weak ties) adressieren (anstelle des dispersen und dem Sender in der Regel unbekannten Publikums der Massenmedien),

    (c) sich überwiegend im Kommunikationsmodus der Konversation (und nicht des Publizierens) befinden.

    Das sind selbstredend Merkmale, die an den Rändern unscharf sind, und bei vielen konkreten Blogs etc. wird man sich schwer tun, sie eindeutig einzuordnen. Für die Kategorisierung im Rahmen dieser kleinen rivva-Untersuchung haben wir als Hinweise auf eine persönliche Öffentlichkeit so Dinge wie „ist nur eine Person verantwortlich?“, „Steht das Angebot für sich oder ist es in ein übergeordnetes Angebot eingebettet (vgl. FAZ.Blogs etc.)“ genommen.
    Wichtig: Ob die Person einen journalistischen Hintergrund hat, war kein Kriterium (die Variable haben wir gesondert codiert) – das Blog von Stefan Niggemeier z.B. haben wir als persönliche Öffentlichkeit UND mit journalistischer Ausbildung codiert; wirres.net hingegen als persönliche Öffentlichkeit und ohne journalistische Ausbildung.

    Ich hoffe, das klärt die Frage etwas .. Ab Freitag Nachmittag bin ich bis Montag nur sporadisch online, kann also nicht direkt auf eventuelle Nachfragen reagieren (soviel zum Modus „Konversation“… ;-))

  7. „sporadisch online“

    Ha – You wish!





  8. Sehr interessante Auflistung. Spannend wird die Beobachtung der zukünftigen Entwicklung der kontinuierlich zunehmenden Rivva-Quellen sein: Werden die Websiten in Franks Pool mehr und mehr amateurhafte Seiten und die Seiten der klassischen Medien verdrängen? Gerne mehr!

  9. @terbeck: Ich vermute ja, dass der Anteil von persönlichen Öffentlichkeiten eher abnimmt und der Anteil von etablierten wie von neuen publizistischen Anbietern eher zunimmt…. :-)








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