Essay für „Berliner Journalisten“ – Blogs und Journalismus

Für die aktuelle Ausgabe (1/2008) des Medienmagazins „Berliner Journalisten“ habe ich einen kurzen Essay geschrieben, der sich dem Verhältnis von Weblogs und Journalismus widmet. „Jaja“, höre ich meine Leserinnen und Leser rufen, „das Thema hatten wir doch schon ganz oft!“ – „Richtig“, entgegne ich da, „aber trotzdem will ich den Text mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber in meinem Blog veröffentlichen.“ – „Na gut“, rufen dann hoffentlich alle Leserinnen und Leser in den Kommentaren, und fügen Hinweise oder weitere Argumente hinzu.

Bloggen – Der Mythos von der Gegenöffentlichkeit

Die öffentliche Diskussion um den Stellenwert und die Konsequenzen von Weblogs dreht sich oft um die Frage, welches Verhältnis zwischen diesem neuen Format der onlinebasierten Kommunikation und dem etablierten Journalismus besteht. Dabei treffen in regelmäßigen Abständen scheinbar unversöhnliche Positionen aufeinander: Manch profilierter Blogger argumentiert, dass der professionelle Journalismus seine Gatekeeper-Rolle verliere und in der Blogosphäre eine Gegenöffentlichkeit entstünde. Von journalistischer Seite wird dem entgegnet, dass sich gerade deutschsprachige Blogger kaum mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinandersetzten und zudem nicht den Routinen und Standards verpflichtet seien, die den Journalismus befähigen, objektiv und umfassend zur gesellschaftlichen Selbstverständigung beizutragen.

In gewisser Weise haben beide Seiten recht: Richtig ist einerseits, dass den „people formerly known as the audience“ im Netz immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre eigene Meinung zu aktuellen Themen zu veröffentlichen und dadurch auch die massenmediale Berichterstattung kritisch zu hinterfragen. Richtig ist andererseits aber auch, dass Weblogs nicht den gleichen Kriterien der Auswahl und Aufbereitung von Informationen folgen wie der Journalismus: In der blogbasierten Kommunikation dominieren Leitbilder wie Subjektivität, Authentizität und persönliche Relevanz. Die Debatte wird jedoch fruchtlos, wenn – gleich von welcher Seite – eine allzu einfache Gegenüberstellung zwischen journalistischen Öffentlichkeiten und einer vermeintlichen Gegenöffentlichkeit der Blogosphäre vorgenommen wird. Zahlreiche Beobachtungen und empirische Studien zeigen, dass sich beide Formen inzwischen vielmehr überlappen.

Dafür ist nicht zuletzt verantwortlich, dass eine wachsende Zahl von Redaktionen und Journalisten Weblogs nutzt: Als Quelle für spezialisierte Informationen, insbesondere in der Berichterstattung über computer- und internetbezogene Entwicklungen, aber auch als zusätzlichen Kommunikationskanal, um jenseits von Darstellungsformen wie Nachricht oder Kommentar über Themen berichten und mit Lesern in Kontakt kommen zu können. Zudem wächst dort die Einsicht, dass eine Verbesserung der journalistischen Qualität möglich wird, wenn die Reaktionen des Publikums auf die eigene Berichterstattung wahrnehmbar sind. „Watchblogs“ wie das BILDblog oder Weblogs zur „Blattkritik“ wie unter www.zeit.de/meckern haben diese Beobachtung des Journalismus institutionalisiert; ihre Leistungen werden durch die Diskussionen ergänzt, die fallbezogen bei der Verletzung journalistischer Standards (Schleichwerbung, tendenziöse Berichterstattung oder ähnliches) in der Blogosphäre stattfinden.

Entscheidend ist jedoch, dass sich die Blogosphäre durch eine Vielfalt unterschiedlicher Praktiken auszeichnet und sich nur ein kleiner Anteil der Blogger als Konkurrenz zum Journalismus sieht. Empirische Studien zeigen, dass es den meisten vielmehr darum geht, persönliche Öffentlichkeiten zu schaffen, also Ereignisse, Gedanken und Informationen von persönlicher Relevanz festzuhalten und darüber den Kontakt mit denjenigen Menschen zu pflegen oder herzustellen, die Lebenswelten oder Interessen teilen. Die Bandbreite reicht dabei von Urlaubserlebnissen und Konzertberichten über Informationen zu eigenen Hobbies oder beruflichen Themen bis hin zur Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Neben der eigenen Alltagserfahrung sind dabei gerade journalistisch aufbereitete Informationen ein wesentlicher Bezugspunkt des Bloggens, weil Artikel und Themen aufgegriffen, verlinkt und kommentiert werden.

Statt als direkte Konkurrenz lassen sich Weblogs also eher komplementär zum Journalismus begreifen, denn sie ermöglichen Anschlußkommunikation, die massenmediale Botschaften in kleinere soziale Netzwerke trägt und dort weiter verbreitet. Dies schließt nicht aus, dass sich in der Blogosphäre themen- oder anlassbezogene Öffentlichkeiten bilden, die wichtige gesellschaftliche Fragen aufgreifen und den Diskurs sowie die politische Mobilisierung fördern. Beispielsweise artikuliert sich die Kritik an den Einschränkungen von Freiheitsrechten durch die Bundesregierung – Stichworte wären hier etwa Vorratsdatenspeicherung und „Stasi 2.0“ – maßgeblich in Weblogs, wo auch für Demonstrationen und die bislang größte Verfassungsbeschwerde geworben wurde. Im Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, die der professionelle Journalismus kanalisieren kann, handelt es sich jedoch um kleine Publika. Eine Überhöhung von Weblogs zur gesellschaftlichen Gegenöffentlichkeit wie umgekehrt die Banalisierung ihre Inhalte als „Laienjournalismus“ hilft deswegen nicht weiter, sondern erschwert den Blick auf die tatsächlichen Veränderungen in den vernetzten und individualisierten Öffentlichkeiten des Internets.

Weiterführende Literatur

  • Neuberger, Christoph; Christian Nuernbergk; Melanie Rischke: Weblogs und Journalismus: Konkurrenz, Ergänzung oder Integration? In: Media Perspektiven, 2, 2007, S. 96-11. Online unter http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/02-2007_Neuberger.pdf
  • Wied, Kristina; Jan Schmidt: „Weblogs und Qualitätssicherung. Zu Potenzialen weblogbasierter Kritik im Journalismus.“ In: Quandt, Thorsten/Wolfgang Schweiger (Hrsg.): Journalismus online: Partizipation oder Profession? Wiesbaden: VS Verlag. Im Druck; preprint auf Anfrage beim Autor erhältlich.

13 Kommentare

  1. Das ist mir ja fast zu ausgewogen und versöhnlich. ;-)

    Aber: guter Text und deckt sich im Kern auch mit meinem Standpunkt, daß es erstens an der Zeit ist, sich aus den ollen Schützengräben rauszubewegen, zweitens, daß beiderseits längst nicht alle Akteure sich an diesem Endkampf beteiligen („Blogs vs. Journalismus – es kann nur eines geben“).

    Soll heißen: die Komplementaritätsthese hat m.E. durchaus gute Gründe auf ihrer Seite. Ein bißchen runter vom hohen Roß („Gegenöffentlichkeit“ und „alleinzuständige Gatekeeper“) tut beiden Parteien gut.

    Allerdings habe ich doch eine Frage:

    Zudem wächst dort die Einsicht, dass eine Verbesserung der journalistischen Qualität möglich wird, wenn die Reaktionen des Publikums auf die eigene Berichterstattung wahrnehmbar sind.

    Wo siehst du dafür Indizien bzw. gibt es empirische Studien dafür?


  2. Author

    Marc, die zitierte Stelle bezieht sich auf Ergebnisse der Studie von Kristina und mir; wir haben dort (nicht-repräsentativ) mit Redakteuren von solchen Online-Zeitungsangeboten gesprochen, die „Kritikerblogs“ anbieten.



  3. Danke für diesen Text!

    Nur eine Anmerkung: Ich fände es schön, wenn im Text irgendwo explizit gestanden hätte, dass Journalisten dem Pressecodex, Blogger hingegen – soweit sie nicht gegen Gesetze verstoßen – niemandem verpflichtet sind. Das ist keine juristische Petitesse, sondern sowohl für das Schreiben, als auch für die Glaubwürdigkeit sehr wichtig.

  4. @HG: Aber soweit ich informiert bin gilt der Pressekodex doch gar nicht für den Onlinejournalismus, außer es handelt sich um online-gewanderten Printjournalismus. Zweitens verstehe ich nicht ganz, was der Pressekodex als eine freiwillige Selbstverpflichtung mit Glaubwürdigkeit zu tun hat. Zumindest scheint es die Bevölkerung nicht davon abzuhalten, den Journalisten nicht allzu viel Vertrauen zu schenken. Was ich sehr viel wichtiger findet: die Transparenz und Kritikfähigkeit, die durch Bloggen gefördert wird, und außerdem die Tatsache, dass Blogger keinen Anzeigenkunden verpflichtet sind.

  5. @Benedikt
    Stimmt. Ich habe mich getäuscht. Der Pressekodex bezieht sich auf den Printbereich und ist Ausdruck der freiwilligen Selbstkontrolle der Printmedien. Da wird mein Argument hinfällig. Daraus ergibt sich dann aber gleich die Frage: Wo gibt es oder wer entwickelt Adäquates für den Online-Bereich? Nötig wäre es schon…




  6. Bisschen spät, aber hier auch noch meine Meinung, falls erwünscht: Sehr ausgewogener Text, da gebe ich Marc Recht. Besonders gut beobachtet finde ich die im letzten Absatz angesprochene Komplementarität, welche die Blogosphäre im Vergleich zum Journalismus ausübt.

    Interessant bei einem Vergleich zwischen diesen beiden „Parteien“ ist für mich vor allem die Tatsache, dass die von dir so benannte „Anschlusskommunikation“ beidseitig möglich ist und genutzt wird: Nicht nur Blogs greifen Themen der journalistischen (Massen-)Medien auf, umgekehrt schaffen es auch Blogeinträge in die Massenmedien.

    Eine Konkurrenzsituation zwischen Journalismus und Blogosphäre sehe ich keineswegs, auch wenn ich die Gatekeeper-Fähigkeiten noch immer eher bei den professionellen Journalisten sehe.


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