[Update 9.6.: Die Vorträge des Expertenworkshops sind nun teils als audio-File, teils als .pdf verfügbar.]
[Update: heise.de hat auch einen Bericht über die Veranstaltung.]
Ich fahre gerade im ICE von Berlin nach Hamburg zurück, nachdem ich den Abend bei der Podiumsdiskussion „Reales Recht für Virtuelle Welten“ verbracht habe. Sie bildete den Abschluß eines nicht-öffentlichen Workshops, den das Hans-Bredow-Institut zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert hatte; bei der öffentlichen Diskussionsrunde waren dann ca. 100 Gäste anwesend. Einige Eindrücke dieser inspirierenden Veranstaltung will ich kurz zusammenfassen:
Zu Beginn blickte Moderator (und HBI-Direktor) Wolfgang Schulz auf den Workshop zurück und stellte fest, dass es dort weniger um konkrete Fragen a lá „Wie sind Einnahmen aus dem Verkauf eines Dunkelelf-Schwerts steuerrechtlich zu behandeln?“, sondern vor allem um das grundsätzliche Thema ging: Welcher Grad an national- oder supranationalstaatlicher Eingriffen ist nötig, um Interaktionen in virtuellen Welten zu regulieren, zu welchem Grad reichen „innerweltliche“ Streitschlichtungsmechanismen oder auch der Transfer bewährter Vertragsrechte etc. aus? In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass der Begriff „virtuelle Welten“ möglicherweise die falschen, weil zu kurz greifenden Assoziationen weckt: Es geht bei den zu klärenden Fragen ja nicht nur um „Second Life“ oder persistente Spielwelten wie die von World of Warcraft, sondern (v.a. mit Blick in die mittelfristige Zukunft) um die Frage, wie onlinebasierte Interaktions- und Kommunikationsumgebungen, wie also „Onlinewelten“ gestaltet werden sollen.
Diese Erweiterung ist deswegen wichtig, weil wir meines Erachtens derzeit gut beobachten können, wie in zweierlei Hinsicht Grenzen verschwimmen:
1. Die Grenze zwischen „Spiel“ oder „Nicht-Spiel“ ist fließend; zum einen lässt sich nicht immer klar zwischen „Spiel als game“ (also regelbasierter Wettstreit) und „Spiel als play“ (also vergleichsweise zweckfreies Tun) unterscheiden. „World of Warcraft“ ist eher „game“, hat aber auch „play“-Elemente, während „Second Life“ eher „play“ ist, aber dort auch „games“ stattfinden können. Nimmt man dann noch Phänomene wie „eSports“ (Professioneller Wettkampf auf Basis eines digitalen Spiels) oder den Umstand hinzu, dass manche Personen reales Einkommen aus im Spiel getätigten Handlungen beziehen (Spiel als Arbeit?), wird deutlich, dass die klare Abgrenzung einer onlinebasierten Umgebung als „Spiel“ nicht möglich ist.
2. Die Grenze zwischen „virtuell“ und „real“ ist ebenso fließend; sie war es im Grunde schon von Anbeginn des Internets: Der „Cyberspace“ ist keine entkoppelte Realität, sondern in vielerlei Hinsicht eine Verlängerung und Erweiterung des „realen“ Lebens. Zwar finden wir in virtuellen Welten Aspekte des „identity play“, die gerade bei Online-Rollenspielen oder auch bei Second Life einen besonderen Reiz ausüben: Man kann im Virtuellen eine andere Verkörperung wählen und (genug Aufwand vorausgesetzt) diese Rolle auch konsequent durchhalten. Trotzdem bestehen zahlreiche Wechselwirkungen zwischen der jeweiligen Onlinewelt und dem „realen“ Leben: Seien es Repräsentanzen von Firmen, Universitäten oder ganzen Ländern in Second Life; seien es die Interaktionen und Vergemeinschaftungsprozesse, die durch regelmäßiges Spielen eines Onlinespiels angestossen werden und nicht selten in Mail-, Telefon- oder Face-to-Face-Kontakt münden; seien es schließlich die Anreize, mit seiner „echten“ Identität in populären Onlineumgebungen aufzutreten (hierzu zähle ich beispielsweise die Social Network Sites wie Facebook oder studiVZ).
Das waren jetzt bereits etwas abschweifende Gedanken von mir; Viktor Mayer-Schönberger meinte möglicherweise etwas ähnliches, als er in seinem Eingangsstatement der Podiumsdiskussion davon sprach, dass virtuelle Welten kein vorübergehendes Phänomen, sondern vielmehr die Zukunft des Internet seien. Er stellte ausserdem eine „Amerikanisierung“ fest, worunter er insbesondere verstand, dass die Nutzer v.a. in solchen virtuellen Welten aktiv seien, die einem amerikanischen Regulierungsrahmen unterliegen (z.B. in Hinblick auf Datenschutz). Später in der Diskussion brachte er vor, dass es doch ein lohnenswertes Ziel für Deutschland oder Europa sein könnte, Alternativen zur angloamerikanischen Weise der Regulierung von onlinebasierten Interaktionen zu schaffen; ein interessanter Gedanke, den „Wettlauf der Regime“ auch auf dieses Gebiet zu übertragen. Richard Bartle wies allerdings zu Recht [Update: siehe auch Kommentar unten] darauf hin, dass absolut gesehen asiatische Anwendungen und Onlinespiele die amerikanisch-westlichen Pendants einge-, wenn nicht sogar schon überholt hätten.
Überhaupt war Richard Bartle eine große Bereicherung des Podiums. Offiziell angekündigt als Professor der University of Essex, vertrat er in der Diskussion eher die Rolle der Spieler und Entwickler. Er betonte die zentrale Rolle der Designer und mittelbar der Spieler/Nutzer, die eine Wahl hätten, welches Design (Code, Spielmechanismen, implizit aber auch Regulierung) sie vorziehen: „If players don’t want to play a particular virtual world, they don’t have to“. Er lobte ausserdem Monika Griefahn, die Sprecherin der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, dass sie sich dem Thema und den Diskussionen stelle – in England würden Spiele von der Politik weiterhin nur unter den Aspekten „Gewalt“ und „schädlich“ wahrgenommen.
Griefahn stellte nochmal die zwei derzeit zentralen Themen vor, denen sich der Bundestag im Zusammenhang mit Spielen widmet: Jugendmedienschutz und Spiele-/Onlinesucht. Leider beides eher problematisierende Rahmungen; der Hinweis darauf, dass digitale Spiele inzwischen auch als Kulturgut anerkannt und gefördert würden kam zwar, wirkte aber ein wenig blass – auch weil man sich in der Diskussion später ein wenig darin verhedderte, ob nun „gute Spiele“ auch immer „gut gemeinte Spiele“ seien, die von den Zielgruppen eben deswegen nicht angenommen würden. Meiner Einschätzung nach müsste sowohl das „Normale“ des Computerspielens als auch das Potenzial von Serious Games stärker hervorgestellt werden, um zu einer realistischen Einschätzung des Stellenwerts von digitalen Spielen zu kommen.
Und wo ich gerade bei meiner Meinung bin: Regulierungsmechanismen (breit verstanden) nur auf die rechtliche Ebene zu reduzieren, halte ich für falsch. Neben dem gesatzten Recht gibt es ja auch noch zwei weitere Wege, auf denen das Verhalten in virtuellen Welten gerahmt, beeinflusst und in Bahnen gelenkt wird: Konventionen, Normen und habitualisierte Erwartungen der Nutzer einerseits und Software-Code andererseits. Zukünftige Diskussionen sollten also idealerweise neben Politikern und Juristen auch Entwicklern, Community Managern und idealerweise Spielern einen Platz auf dem Podium zu gewähren…
Wobei wir Juristen die Software-Code-Dimension ja spätestens seit Lessig auch als „Law“ ansehen. Hinsichtlich der Beteiligung der Community-Manager stimme ich Dir zu, Entwickler – in diesen Bereich fiel ja auch Bartle – sind ebenfalls wichtig. Wer die Spieler repräsentieren soll (die Heise- oder WoW-Forum-Trolle?), ist mir noch nicht ganz so klar.
Eine kleine Korrektur zur Richard Bartles Behauptung von der Bedeutung asiatischer Anbieter. Bartle irrt schlichtweg – und zwar gleich zweifach. Denn erstens war die asiatische Übermacht vor einigen Jahren stärker als sie heute ist – nicht weil es in Asien damals mehr Nutzer gab, sondern weil erst später die westlichen Länder nachzogen. Zweitens vermischten Bartle (aber auch andere am Podium) gerne jegliche Onlinespiele mit virtuellen Welten. Bleibt man hingegen bei innovativen, flexiblen, vielfältigen und für tausende Nutzer tatsächlich gleichzeitig nutzbaren Welten, dann haben die US-Provider bei weitem die Nase vorne. Und genau das war mein Punkt.
@SH: Richtig, an Lessig habe ich auch gedacht. Zu den Trollen – besser nicht, sonst läuft die Podiumsdiskussion wie das hier ab: http://www.collegehumor.com/video:1771556
@VMS: Danke für die Korrektur, ich habe oben im Text auch auf den Kommentar verwiesen.