In Ausgabe 2 des 2018er-Jahrgangs von Medien & Kommunikationswissenschaft ist eine Rezension erschienen, die ich vom Sammelband „Political Communication in the Online World. Theoretical Approaches and Research Designs“ (Hrsg. Gerhard Vowe und Philipp Henn) verfasst habe. Exklusiv hier im Blog: Die Fassung mit Hyperlinks! :-)
In den letzten Monaten ist die Debatte um die Ausrichtung und das Selbstverständnis der sozialwissenschaftlich orientierten Kommunikationswissenschaft wieder aufgelodert, insbesondere durch den programmatischen Beitrag von Andreas Hepp in der Publizistik sowie die darauf bezugnehmenden Repliken. Im Kern geht es um die Frage, ob (und wenn ja: wie) sich unser Fach ändern müsse, wenn sich sein zentraler Bezugspunkt, nämlich die öffentliche Kommunikation, grundlegend wandele. Weil sowohl über die Merkmale dieses Wandels als auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen produktive Uneinigkeit herrscht, wird diese Debatte (hoffentlich!) weiter geführt. Bemerkenswerterweise liegt mit dem hier zu besprechenden Sammelband bereits seit 2016 ein ambitionierter Vorschlag vor, wie eine neu justierte kommunikationswissenschaftliche Perspektive für den Teilbereich der Forschung zu politischer Kommunikation aussehen könnte.
Der Band, den Gerhard Vowe und Philipp Henn (beide Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) herausgegeben haben, ist dabei ausdrücklich als „interim report“ gedacht, also als Zwischenbilanz der Arbeiten, die im Rahmen der Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“ mit Förderung der DFG und des SNF seit 2011 entstanden sind. Sein Anspruch ist, nicht einfach nur Studien mit Bezug zu Online-Phänomen zu versammeln, sondern Theorie und Methode der politischen Kommunikationsforschung für eine „Online-Welt“, also eine „communications world dominated by the logic of online media“ (S. 3) zu skizzieren. Den beiden großen Teilen des Bandes zu „Theoretical Approaches“ und „Research Designs“ steht je ein rahmender Text voran, der grundlegende Überlegungen skizziert: Henn/Jandura/Vowe rekonstruieren in Kap. 2 insgesamt sieben Dimensionen des „traditionellen Paradigmas“ der politischen Kommunikationsforschung und Veränderungen, die in der „Online-Welt“ zu beobachten sind (in der Sozialdimension etwa der Wandel von vergleichsweise stabilen Akteurskonstellationen der Massenkommunikation hin zu flexibleren Kommunikationsrollen und hybriden Kommunikationsmodi). Und in Kap. 10 argumentieren Vowe/Henn, dass drei fundamentale methodologische Prinzipien – kausale Erklärungen als Erkenntnisziel; der Anspruch intersubjektiver Überprüfbarkeit; die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Forschungsprozesses – durch Entwicklungen sowohl des Gegenstands als auch der Organisation von Forschung zwar herausgefordert, aber nicht obsolet werden.
Damit ist zugleich das zentrale Argument des Bandes genannt: Der gegenwärtige Medienwandel ist so tiefgreifend, dass er eine Anpassung etablierter Modelle und Ansätze erfordert, ohne diese vollends über Bord zu werfen und zu versuchen, gewissermaßen „von Null“ anzufangen. Die gemeinsame Trope der verbleibenden 15 Beiträge ist folgerichtig das „revisited“, etwa in Gestalt von Titeln wie „Gatekeeping revisited“ (Friedrich/Keyling/Brosius, Kap. 4) oder „The Spiral of Silence Revisited“ (Eilders/Porten-Cheé, Kap. 6). Alle Texte verorten sich – mehr oder weniger stark – im Feld der politischen Kommunikationsforschung, ohne aber darauf beschränkt zu sein. Auch wer sich in anderen Teilbereichen unseres Faches beheimatet fühlt und etwa zu Journalismus oder zu Mediennutzung und –wirkung forscht, wird die aktuellen Überblicke zu einzelnen Theorien und Methoden mit Gewinn lesen. Gerade im Methodenteil sind zudem einige Beiträge (beispielhaft Kap. 13 von Waldherr et al.) versammelt, die den Blick auf das aktuell hochdynamische, interdisziplinäre Feld der Computational Social Science erweitern.
Der Blick in den Band lohnt sich meines Erachtens – nicht zuletzt um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie sich das durchaus komplexe und langfristige akademische Vorhaben einer Forschergruppe so bündeln lässt, dass mehr dabei herauskommt als eine gewöhnliche Aufsatzssammlung. Der online einsehbare Arbeitsplan der Forschergruppe verspricht, dass bald auch der Entwurf einer „modularisierten Theorie des Wandels politischer Kommunikation“ vorgelegt werden wird, der die Arbeiten resümiert und integriert. Mit dem hier besprochenen Band ist die Meßlatte auf jeden Fall schon recht hoch gelegt.