In meinem Weihnachtsurlaub war ich weit weg von Hamburg-Eimsbüttel. Ich habe exotische Orte besucht (z.B. Dörfer und Kleinstädte wie Schragen, Schlucht oder Buckelstadt); bin geritten, geschwommen und viel gelaufen, habe mich als Handwerker und vor allem als Jäger probiert und sogar einen ordentlichen Profit damit gemacht. Mit anderen Menschen hatte ich auch zu tun – viele wollten, dass ich ihnen in kleinen oder großen Dingen unter die Arme greife; mal sollte ich für jemanden Botengänge übernehmen oder einen Strauß Blumen pflücken, mal sollte ich einen ganzen Schwarm Spinnen beseitigen. Besonders interessant waren aber die Kämpfe gegen die Orks. Kleine Belohnungen gab es eigentlich immer dazu, und manchmal hab ich mich einfach nur einige Minuten in die Gegend gestellt und die Landschaft genossen.
Pünktlich zu den freien Tagen habe ich mir „Herr der Ringe Online“ (HDRO) gegönnt – und bin damit nach mehr als zehn Jahren mal wieder in die Welt der Online-Rollenspiele eingetaucht. So zwischen 1994 und 1996 war ich in einem textbasierten MUD namens Morgengrauen unterwegs ((Ich habe gerade mal geschaut, meinen Charakter namens Cerebus gibt es sogar immer noch….)), habe mich danach dann aber von Onlinespielen im großen und ganzen eher fern gehalten, zumindest was das eigene Spielen angeht ((Expertisen drüber habe ich trotzdem verfasst… ;-) )).
Von HDRO bin ich jedoch schwer fasziniert und begeistert, weil es meinem Erleben der „Herr der Ringe“-Geschichte eine weitere Facette hinzufügt, neben den (zig-fach gelesenen) Büchern und den (mehrfach angesehenen) Filmen. Ich kann gar nicht so genau sagen, was mir so gefällt; es hat viel damit zu tun, dass man gerade zu Beginn des Spiels (so bis Level 20) oft an Orten unterwegs ist, die man aus dem Buch kennt: Bree und das Tänzelnde Pony, das Auenland, der Alte Wald und die Hügelgräberhöhen. Und die Aufgaben bzw. Quests, die man zu erfüllen hat, sind ebenfalls an die Geschichte von Frodo und dem Ring angelehnt, ohne dass man diese direkt nachspielt: Es gibt einen Hauptstrang der eigenen „epischen Quest-Reihe“, bei dem man beispielsweise Aragorn aka Streicher in Bree trifft und von ihm einige Aufgaben bekommt – irgendwann ist er weg und man erfährt von Gastwirt Butterblume, dass vier Hobbits zu Gast waren und mit dem Waldläufer weitergezogen sind… Die übrigen Aufgaben, die einem im Spiel weiter voranbringen, sind zwar gelegentlich etwas stupide („Bring mir das Fell von 10 Warg-Wölfen.“), ohne aber übermässig zu nerven, zumindest im Moment.
Besonders interessant, hier kommt der Onlineforscher in mir zum Vorschein, sind aber auch die sozialen Aspekte, die das gemeinsame Spielen in einer großen und persistenten Welt mit sich bringt: Manche Aufgaben sind nur in Gruppen von drei oder mehr Spielern zu schaffen, sodass es immer wieder zu ad-hoc-Gemeinschaften kommt, die über ein internes Chat-System koordiniert werden ((Es gibt auch dauerhafte Zusammenschlüsse von Spielern in „Sippen“, damit habe ich aber noch keine Erfahrungen gesammelt.)). Zumindest am Anfang empfand ich diese Gruppenaufgaben als extrem anstrengend und fordernd, weil es ziemlich schwer ist, per Tastatur und Maus den eigenen Avatar durch die Welt steuern, per Tastendruck zwischen Gegnern auszuwählen, Pfeile abzufeuern oder Fallen zu legen, und gleichzeitig noch die eine oder andere Nachricht zu tippen; dieses Empfinden von Gehetze und Chaos wurde noch dadurch verstärkt, dass ich fast immer in Gruppen geriet, die aus Dritt- oder Viert-Charakteren von erfahrenen Spielern bestanden. Deren Ziel war in der Regel, möglichst schnell und zackig durch die Aufgaben zu kommen, um höhere Level zu erreichen – für einen „Newbie“ wie mich, der sich mit den verschiedenen Optionen und dem Jargon („Ihr müsst die Debuffs stacken ^^“) nicht auskennt, ziemlich verwirrend…
Aber zum Glück gibt es ja nette Spieler, die einem auf Nachfrage gerne Dinge erklären oder auch mit Rohstoffen aushelfen, die man dank des ausgebauten Handwerk-Systems (ich habe Fertigkeiten als Bauer, Förster und Drechsler) zu Ausrüstung verarbeiten kann. Dadurch bin ich vor einigen Tagen zu einem sehr wirkungsvollen selbstgebauten Eiben-Bogen gekommen.. :-)
Nach Ende meines Urlaubs werde ich die Spielfrequenz wieder deutlich herunter schrauben, aber sicher immer mal wieder im Spiel vorbeischauen ((Wobei ich im Moment noch keine Abo-Gebühren zahlen muss…)). Wen es interessiert: Ich bin auf dem Server Vanyar als „Hinnerk“ unterwegs, vielleicht trifft man sich ja mal?
Da hast Du ja ganz schön was erlebt auf Deiner Reise durch’s Auenland & darüber hinaus, feiner Bericht :-)
Hallo Jan,
schöner Bericht! Wie wäre es eigentlich, wenn man den ersten Absatz (ok, bis auf den Teil mit den Orks) wirklich wirklich erleben könnte, also in der realen Welt, mit realen Fähigkeiten (kannst Du überhaupt reiten? :) ). Wäre das immer noch toll? (Suche immer noch Antworten zu bestimmten Fragen der Motivation…)
Schöne Grüße, Monica
Monica, das wäre auch ganz spannend, würde mich aber glaube ich nicht drei Wochen ähnlich fesseln wie HDRO.. :)
hallo herr schmidt,
falls du über die soziale komponente von rollenspiele noch etwas mehr wissen willst, kann ich den podcast vom chaosradio empfehlen.
http://chaosradio.ccc.de/cre073.html
allerdings gehts hier um world of warcraft.
gruss
jim
spannend zu lesen, der Screenshot sieht schick aus. ich glaub ich muss mir das auch mal anschauen.
danke für den Bericht!
Hallo Jan,
also ich in meinem Google Reader las „Mein Weihnachtsurlaub“ habe ich einen Bericht über einen „realen“ Skiurlaub oder Urlaub am Strand (irgendwo in der Karibik) erwartet. Aber siehe da…. Ach *seufz* hätte auch gerne mal wieder Zeit zum spielen. Beneide dich. Herr der Ringe online klingt ja sehr interessant. Bin auch Herr der Ringe Fan und nehme mir zumindest mal vor das Spiel auszuprobieren. Alleine schon aus medienpsychologischen Gründen ;-)
lg aus Linz
Tanja
Feldforschung in der virtuellen Welt: Hier gehts wie beim Chaosradio um World of Warcraft und auch um die Reaktionen der Erforschten:
http://savageminds.org/2009/01/08/an-anthropologist-digs-into-wow/
Ein toller Bericht über den Weihnachtsurlaub. Ich kann (leider, man fühlt sich nicht erst seit den Filmen ausgegrenzt) noch nicht mal mit den Herr der Ringe-Büchern was anfangen. Vor allem nicht lesen…
Danke für die Link-Hinweise.
Bei den letzten „Internet Research“-Konferenzen der AOIR gab es auch immer eine Reihe von Sessions zu einschlägigen Projekten, die sich Online-Rollenspielen mit ethnographischen Methoden nähern. Die meines Wissens nach umfassendste Publikation hierzu ist „Playing between worlds“ von TL Taylor, dort wird Everquest untersucht. Ein sehr gutes Buch!
Ich musste so lachen, als ich den Beitrag angefangen habe zu lesen. Ich habe das Bild nämlich nicht gesehen und als ich weiter gelesen habe, dachte ich mir schon, dass kenn ich doch. Das kommt mir doch bekannt vor. Leider wusste ich nicht sofort wo ich es einordnen sollte. Jetzt weiß ich auch woher ich es kenne. Ich habe nämlich den gleichen Urlaub gemacht. Allerdings war ich nicht allzu lange unterwegs. Das Schlimme an dem Spiel ist, dass man so schnell nicht mehr davon wegkommt.
Ich wenn so einen Mann hätte, ich würde wahrscheinlich wahnsinnig werden. Also ich finde es zwar in Ordnung, wenn sich Männer an solchen Spielen austoben aber ich denke auch, dass es einfach Grenzen gibt. Diese sollte man schon sehen. Denn ich glaube, dass eine Frau auch etwas von ihrem Mann haben möchte, wenn er schon mal Urlaub hat. Allerdings muss ich sagen, dass es doch sicherlich viel schönere Spiele gibt als so ein Computerspiel oder nicht? Mir würde da vieles einfallen, was ich gerne machen würde.
@Heike: „Mir würde da vieles einfallen, was ich gerne machen würde.“
Zum Beispiel Fastenwandern in Sylt? ;-)
Morgengrauen kenne ich auch noch!! Da weckstd u Erinnerungen in mir! Als ich den Anfang deines Textes gelesen habe, dachte ich mir nur „Ich will auch“. Ich dachte, du seist in irgendeiner Weltstadt oder auf ner Insel gewesen-jetzt, wo ich weiß, wo du warst, sage ich „Da will ich nicht hin“-sonst finde ich keine Zeit für gar nichts mehr *gg* ;-)