Unterminieren Netzwerkplattformen sich selbst?

In den vergangenen Wochen haben verschiedene große Netzwerkplattformen heftigen Widerstand erlebt: Facebooks „Beacon“-Programm ((Siehe u.a. diesen Artikel in der ORF Futurezone)), die Änderung der AGBs von studiVZ ((Die u.a. bei Spiegel Online und in der Tagesschau Thema war)) und die Einblendung von Werbung auf den XING-Profilseiten mussten alle nach starken Protesten der Nutzer, aber auch (zumindest im Fall von StudiVZ) von Datenschutzexperten modifiziert bzw. rückgängig gemacht werden.

Ich will hier gar nicht auf die ganzen einzelnen Aspekte der verschiedenen Modifikationen und die Beweggründe der jeweiligen Anbieter eingehen, was im Hinblick auf Aspekte des mediatisierten „privacy managements“ höchst interessant wäre. Vielmehr geht es mir um die Aktivitäten, die auf den Plattformen selber stattfanden: Im Fall von „Facebook Beacon“ Gruppen wie beispielsweise „Facebook: Stop invading my privacy“ (derzeit mehr als 80.000 Mitglieder), bei StudiVZ Gruppen wie “ ! Datenklau abstellen ! Vorgehen gegen Datenschutzerklärung/AGB!“ (191 Mitglieder, bestimmt gibt es noch größere) und bei XING lebhafte Diskussionen in den internen Foren; im Bereich „Anregungen, Lob und Kritik“ finde ich auf den ersten Blick 16 Threads, darunter einer mit über 3000 Wortmeldungen.

Interessant finde ich daran mehrerlei:

  • Die Nutzer bedienen sich der gängigen Werkzeuge der jeweiligen Plattform, um ihre Haltung zu den Änderungen auszudrücken und Gleichgesinnte zu mobilisieren. Das betrifft vor allem Gegner der Änderungen, aber auch Befürworter bzw. „Gleichgültige“ (ist noch nicht der richtige Ausdruck) melden sich zu Wort – letztere oft mit einem Argument wie: „Das Angebot X ist für uns kostenfrei, also ist eine Vermarktung unserer Daten in Ordnung“. Daher die Überschrift meines Beitrags: Betreiber von Social Network Sites stellen ihren Nutzern Werkzeuge zur Vernetzung und Kommunikation zur Verfügung, die durchaus auch gegen sie selbst verwendet werden können. Im Gegensatz zu Protest per E-Mail oder via Feedback-Formular sind Gruppen und Foren (plattform-)öffentlich und können dadurch stärker Wirkung erzielen; mit Hilfe eigener Weblogs etc. können Nutzer ihre Anliegen noch weiter verbreiten und Druck aufbauen. Wie ist dieses Verhalten im Vergleich zu „klassischem“ Verbraucherprotest zu bewerten?
  • Viele Nutzer scheinen mir die genannten Änderungen vor allem deswegen abzulehnen, weil sie ihre Aktivitäten auf den Plattformen als Teil ihrer persönlichen Sphäre betrachten; das gilt wohl auch für XING, wo es zwar eher um Business Networking geht, aber die Repräsentation der eigenen Person eine wichtige Rolle spielt. Blogger verwenden gern den Vergleich ihres Blogs mit dem eigenen Wohnzimmer; die Analogie passt vielleicht nicht ganz auf das eigene Profil bei einer SNS, aber die wahrgenommene Bedeutung scheint mir ähnlich zu sein. Um im Bild zu bleiben, wäre personalisierte Werbung dann in etwa so, als ob jemand Fremdes in mein Wohnung kommt und mir aufgrund meiner Bücher, CDs, Bilder etc. Vorschläge macht, was ich noch zu kaufen hätte (bzw. als ob im Mietvertrag eine Klausel enthalten wäre, dass ich das zu dulden hätte).
  • Plattform-Anwendungen zu nutzen, um gegen Entscheidungen der Plattformbetreiber zu protestieren, ist Ausdruck eines gewissen kreativen Potenzials, es stellt eine Form von unintendierter Nutzung dar. Bei studiVZ ist die Kreativität im Umgang mit Gruppennamen ohnehin stark ausgeprägt ((Meiner Wahrnehmung nach wird eine Vielzahl der Gruppen gar nicht zum Diskutieren genutzt, sondern dient vor allem dazu, das eigene Profil um weitere Informationen zu ergänzen, die einem wichtig sind. Identitätsmanagement statt Beziehungsmanagement…)), was sich auch im Fall der AGBs zeigt. Ich finde auf Anhieb z.B. Gruppen wie “ Hilfe!wegen der neuen AGB heißen meine Freunde anders„, “ ..Ich bestätige sowieso immer alles – also auch die neuen AGB´s“ oder „Nur Heulsusen ändern Ihren Namen wegen der neue AGB„. Solche Gruppen sind weniger themenorientiert, sondern drücken vielmehr Haltungen bzw. Reaktionen auf soziale Prozesse innerhalb der Plattform aus – hier insbesondere die Tatsache, dass viele Nutzer studiVZ weiter verwenden, aber ihren Namen ändern, um nicht mehr direkt persönlich identifizierbar zu sein ((Was eine ganz neue Frage aufwirft: Verändert sich der Charakter von studiVZ, wenn ein wachsender Anteil der Nutzer nicht mehr über den Namen auffindbar ist?)). Änderungen in der Architektur der Plattform führen zu veränderten Praktiken, auf die wiederum reagiert wird. Das zeigt meines Erachtens auch, warum man sich bei der Analyse von Angeboten nicht auf die technischen features per se konzentrieren darf, sondern ihre Aneignung mit betrachten muss: Das Wechselspiel von Code und bestimmten geteilten Verwendungsweisen.

6 Kommentare

  1. Ich vermute, dass Netzwerke noch privateren Charakter erhalten, wenn Pseudonyme verwandt werden. Das zeigt sich z.B. im SchülerVZ, wo viele Schüler nur unter ihrem Vorname plus abgekürztem Nachnamen oder gar falschem Namenskürzel unterwegs sind. Die Identifizierung erfolgt dann allein über die bestehenden Kontakte und die Verortung – das aber sehr zuverlässig.

  2. Hallo Jan,

    bzgl. StudiVZ: Die Gruppe „! Datenklau abstellen ! Vorgehen gegen Datenschutzerklärung/AGB!“ ist noch relativ neu, und wurde explizit als „Die Gruppe für DANACH!“ (also nach dem 9.1., dem Termin, ab dem man ohne AGB-Zustimmung nicht mehr an sein Profil kommt) gegründet. Afaik erst am 10.01., inzwischen hat sie schon über 300 Mitglieder. Nicht viel im Vergleich mit ursprünglichen Protestgruppen (Stand der Mitgliederzahlen: heute, 14.01.):

    „Achtung – StudiVZ ändert die AGB!“ (13623 Mitglieder)
    http://www.studivz.net/group.php?ids=311f127f646d5d69

    „Neue studiVZ AGB (12/07) – ich bin dann mal weg!!!“ (5865 Mitglieder)
    http://www.studivz.net/group.php?ids=3e123be5e8e3746d

    „Widerspruch gegen die neuen AGB (12/07)“ (5101 Mitglieder)
    http://www.studivz.net/group.php?ids=c22fbf75d46d14f5

    „Revolution im Studivz – gegen die neue AGB“ (3568 Mitglieder)
    http://www.studivz.net/group.php?ids=0dd58b762cfe8634

    Christiane: Die Beobachtung habe ich auch gemacht. Bei StudiVZ gibt es die Entwicklung auch schon länger. Mit der Ankündigung der AGB-Umstellung hat sie nochmal einen massiven neuen Schub bekommen. Was früher noch Einzelfälle waren, entwickelt sich, auch in Verbindung mit der Abschottung der Profile so langsam zum Regelfall.

    Es gibt aber auch einen Unterschied: Innerhalb eines Klassenverbands oder in einer Jahrgangsstufe ist die Identifizierung und Netzwerk(ab)bildung natürlich wesentlich leichter, als das Netzwerken unter Studenten, die sich a) vergleichsweise selten über den Weg laufen und b) deren ehemalige Klassenkameraden u.U. weit verstreut studieren.




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