Kapitalisierung sozialer Beziehungen

Wann hat man schon mal Gelegenheit, Karl Marx, Pierre Bourdieu und Marc Zuckerberg auf einer Folie unterzubringen? Zum Beispiel, wenn man vor dem „Forum PR“ des Gesamtverbands der Kommunikationsagenturen (GWA) einen Vortrag zur „Ethik der Kapitalisierung von sozialen Beziehungen“ halten soll. Unten das Resultat meiner Überlegungen, incl. der Folie mit den drei Denkern zwei Denkern und dem einen Macher.

Der Vortrag entwickelt einige Gedanken zu den verschiedenen Varianten, wie die persönlichen Öffentlichkeiten des Social Web, die maßgeblich auf Konversationen innerhalb von sozialen Netzwerken, mithin auf sozialen Beziehungen beruhen, von unterschiedlichen Akteuren kapitalisiert werden:

Erstens von den Betreibern entsprechender Plattformen (enter Marc Zuckerberg), die ihren Nutzern den Tausch „persönliche Daten [und Aufmerksamkeit] gegen Bereitstellung einer Infrastruktur für Identitäts-, Beziehungs-, Informationsmanagement“ anbieten. Ethisch problematisch wird dies z.B., wenn die Verwendung der Daten nicht transparent ist oder gar konkreter Missbrauch mit ihnen betrieben wird.

Zweitens kapitalisieren Nutzer ihre Beziehungen selbst – wenn man „Kapitalisierung“ etwas breiter als „Kommerzialisierung“ auffasst, sondern auch den Aufbau von „Sozialkapital“ (womit Bourdieu ins Spiel gebracht wäre) mit einbezieht. Persönliche Öffentlichkeiten erleichtern insbesondere die Pflege und das Aufrecht Erhalten von „weak ties“, die spezifische Ressourcen darstellen; meine Beispiele im Vortrag waren die explizite „networking“-Plattform XING sowie die Kampagne „Wir für Frank„. Ethisch problematisch wird dies – von Phänomenen wie Cyber-Mobbing etc. abgesehen -, wenn menschliche Beziehungen nicht als Wert an sich, sondern nur als Mittel zum Zweck angesehen, also instrumentalisiert werden. Mein auf den ersten Blick vielleicht merkwürdiges Beispiel ist „Farmville“, dessen Spielprinzipien seine Nutzer dazu verleitet, mehr oder weniger wahllos Freunde zu „adden“ oder den eigenen Bekanntenkreis mit Meldungen über glückliche Schafe zu bespammen: „Social Games“ werden zu „asozialen Spielen“.

Drittens schließlich können Unternehmen (und ihre Kommunikationsagenturen) ein Interesse an den persönlichen Öffentlichkeiten der Nutzer haben – für Werbezwecke (problematisch, wenn unerwünscht, ergo Spam) und für die Rekrutierung bzw. Überprüfung von (zukünftigem) Personal (problematisch, wenn in Kontexten geschnüffelt wird, die aus Sicht des Nutzers privat-persönliche Kommunikation umfassen). Aus Sicht speziell der PR kommt u.U. noch der Wunsch dazu, um an den Konversationen in den persönlichen Öffentlichkeiten im Sinne von Dialog oder für Feedback-Zwecke teilzunehmen; hier ist insbesondere problematisch, wenn nicht transparent kommuniziert wird, wer für welche Zwecke bzw. in wessen Auftrag Meinungen äußert oder einholt. Und schließlich können persönliche Öffentlichkeiten interessant sein, weil/wenn sich die von den Nutzern dort bereit gestellten Inhalten vermarkten lassen; hier stellen sich ethische Probleme, wenn die Arbeit der Nutzer nicht oder unangemessen kompensiert wird (Marx: Ausbeutung 2.0).

Ich hatte nicht den Anspruch (und nicht die Zeit), all diese möglichen ethischen Probleme en detail zu diskutieren oder gar befriedigend zu lösen, aber mir scheint es essentiell, für diese Fragen das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung zur Leitlinie zu machen – nicht nur in seinem verfassungsrechtlich-normativen Sinn, sondern auch und gerade als alltäglich ausgeübte Praxis, die bestimmtes Wissen und Fertigkeiten voraussetzt. Die informationelle Selbstbestimmung in digitalen vernetzten Umgebungen ist auch mehr als das Wahrnehmen des „Rechts auf Privatheit” (so wichtig dies auch ist), sondern umfasst z.B. auch die informierte Einwilligung in die Verarbeitung der eigenen personenbezogen Daten, wenn man dies denn möchte; die selbstbestimmte Übertragung des eigenen Wissens an die Gemeinschaft („creative commons“) oder auch einen marktlichen Akteur; oder die informationelle Autonomie im Sinne der freien Wahl von Quellen und Kommunikationsräumen. All diese Praktiken setzen durchaus einiges an Kompetenz voraus, beruhen in ethischer Hinsicht aber vor allem darauf, dass transparent und wahrhaftig kommuniziert wird.

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