Am 14. und 15.2. bin ich auf Einladung des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) und des Deutschen Historischen Instituts Paris zu Gast in Essen bei der Konferenz “Öffentlichkeit, Medien und Politik – Intellektuelle Debatten und Wissenschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation“. Zur Vorbereitung der “Delphi-Runde: Digitale Wissenschaftskommunikation – Drei Generationen der Mediennutzung” wurde ich gebeten, einen Fragenkatalog zum Thema „Digitalisierung und wissenschaftliches Arbeiten“ zu bearbeiten – meine Antworten dokumentiere ich gerne auch hier.
1. Wenn Sie Ihren wissenschaftlichen Werdegang bedenken, an welcher Stelle sind Ihnen – zunächst kursorisch und assoziativ – neue Informations- und Kommunikationstechnologien bekannt geworden, wann haben Sie sich damit ggf. vertraut gemacht, wann haben sie evtl. entsprechende Routinen entwickelt? Gibt es ein „Vorher/Nachher“, haben Sie digital gestützte Arbeitstechniken leicht einflechten können?
Ich habe bereits vor meinem Studium Erfahrung mit Computern (ab Mitte der 1980er Jahre) und Online-Technologien (lokale Mailbox-Systeme in den frühen 1990er Jahren) gesammelt. Mit Beginn des Studiums (1993) habe ich verschiedene Aufgaben (z.B. Exzerpte und Literatur verwalten; Hausarbeiten schreiben) eigentlich immer und quasi „natürlich“ mit dem PC erledigt; auch für die Kommunikation nutzte ich die damals erst langsam sich durchsetzende E-Mail und ein uni-internes Chatsystem. Wissenschafliche Recherche habe ich meiner Erinnerung nach spätestens in der zweiten Hälfte der 1990er onlinegestützt betrieben, damals aber nur als punktuelle Ergänzung zur damals viel gängigeren Arbeit „vor Ort“ in der Uni-Bibliothek.
Zu Beginn meiner wissenschaftlichen Arbeit nach dem Diplom (1999/2000) war dann das Internet, insbesondere das World Wide Web, zum selbstverständlichen Werkzeug für mich geworden – auch (aber sicher nicht nur) weil meine ersten Forschungsprojekte und meine Promotion verschiedene Aspekte der gesellschaftlichen Aneignung des Internets untersuchten.
Einen deutlichen Schub hat mein Einsatz onlinegestützter Technologien mit der gleichzeitigen „Entdeckung“ von Weblogs als Forschungsfeld und als Werkzeug für das eigene wissenschaftliche Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement erfahren; dieser Einschnitt 2004 korrespondiert mit meinem Übergang in die PostDoc-Phase. Es war eine faszinierende Erfahrung, innerhalb von wenigen Wochen und Monaten mit Hilfe meines eigenen Weblogs und der Teilnahme an den „distributed conversations“ anderer bloggender Wissenschaftler mein eigenes Netzwerk und meine Sichtbarkeit deutlich zu steigern, ohne dass ich es darauf wirklich angelegt hätte. Seit etwa zwei Jahren ist auch Twitter eine maßgebliche Ergänzung bzw. Erweiterung dieser Art von Online-Visitenkarte.
2. Welche Rolle spielen digitale Werkzeuge/Infrastrukturen/Kommunikationstechnologien in Ihren aktuellen Forschungsprojekten (liefern Sie ggf. Beispiele). Welche Art der wissenschaftlichen Arbeit lässt sich Ihrer Meinung nach gut durch digitale Werkzeuge/Infrastrukturen/Kommunikationstechnologien unterstützen, welche Ansätze weniger gut?
Die E-Mail als Kommunikationskanal und das World Wide Web als universale Informations- und Kommunikationsplattform sind aus meinem Arbeitsalltag nicht wegzudenken. In den letzten fünf Jahren habe ich zudem mit einer Reihe von „Web 2.0“-Anwendungen in Forschung, Lehre und Transfer experimentiert, darunter dezidierte (Lehr-)Veranstaltungs- oder Projektblogs, Wikis, spezialisierte Networking-Plattformen für Wissenschaftler, Tagging-/Verschlagwortungsplattformen oder onlinegestützte Präsentationsplattformen – eine Lehre aus diesen Erfahrungen: Nicht alle Werkzeuge sind für alle Zwecke, für alle organisatorischen Kontexte und für meine eigene Art zu Arbeiten gleichermaßen geeignet. Zwei Beispiele:
- Weblogs funktionieren meiner Ansicht nach sehr gut, um die eigenen Aktivitäten, Gedanken und Arbeiten zu präsentieren und davon ausgehend mit Personen in Kontakt zu treten, die sich mit ähnlichen Themen befassen. Beim Einsatz in Seminaren (ob als Gruppenblog oder als Reihe von Einzelblogs der Teilnehmer/innen) habe ich zwar keine wirklich schlechten, aber auch keine richtig guten Erfahrungen gemacht – die Motivation (ggfs. auch die Zeit), kontinuierlich über ein Semester den eigenen Lernfortschritt dort festzuhalten und sich mit den Kommiliton/innen auszutauschen, scheint mir bei der Mehrheit der Studierenden eher gering ausgeprägt; zumeist war es nur ein kleiner Anteil von Seminar-Teilnehmer/innen, die regelmäßig (und teilweise auch über das Seminar hinaus) bloggten.
- Wikis funktionieren als niedrigschwelliges Werkzeug für das (Ein-)Sammeln von Materialien, Hinweisen, Ideen oder auch für das Abstimmen von Textvorlagen sehr gut, gleich ob im Seminar- oder im Projektkontext. Zumindest zu Beginn eines entsprechenden Vorhabens versuche ich immer ein Wiki für die anderen Beteiligten einzurichten, um solche Aufgaben zu unterstützen – auch wenn sich in späteren Projektphasen oft die Art der geforderten Texte (Zwischen-/Endberichte, Fragebögen, Aufsätze) ändert und man dann auf das klassische Word-Dokument zurückgreift. Bei Seminaren hat sich allerdings bewährt, statt einer klassischen Hausarbeit ein aufbereitetes Wiki-Dokument als Abschlußleistung zu verlangen.
3. Beschreiben Sie Ihre Arbeitsweise mit Blick auf folgende Aspekte und vergleichen Sie sie mit Ihrer Vorgehensweise zu Beginn Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn:
Literaturrecherche: Sieht man vom „Schneeballprinzip“ ab, bei dem ich in Literaturverzeichnissen interessanter Texte auf weitere einschlägige Literatur aufmerksam werden, läuft bei mir inzwischen die Literaturrecherche nahezu komplett online ab; dies schließt aber auch die Recherche in Bibliothekskatalogen mit ein. Zu Beginn meines Studiums habe ich noch MicroFiche-Kataloge benutzt….
Quellenverwaltung: Für verschiedene Projekte bzw. projektübergreifende Themen führen wir im Institut citavi-Datenbanken. Für mich persönlich habe ich keine systematische Quellenverwaltung, aber ein Archiv mit Downloads sowie meiner Exzerpte (seit 1994 ;-)). Frühere Versuche, das alles in eine Access-Datenbank zu speichern, habe ich ~1999 aufgegeben, weil Aufwand und Nutzen nicht in Einklang standen.
Zugang zu Primärdaten: Eigene Primärdaten erhebe ich seit ~2001 teilweise online; einerseits durch webgestützte Befragungen, andererseits durch Formen der teilnehmenden Beobachtung an meinem Forschungsgebiet – der digitalen interaktiven Medien.
Aufbereitung und Darstellung von Daten sowie wissenschaftliches Schreiben: Beantworte ich zusammen – je nach Projektkontext gebe ich mehr oder weniger viele Einblicke in die laufende wissenschaftliche Tätigkeit. Dies geschieht entweder in Vorträgen, die ich in der Regel über Slideshare zur Verfügung stelle und über Blogs und Twitter ankündige, oder durch gelegentliche längere Blog-Einträge, in denen ich bestimmte Gedanken skizziere. Für meine letzte Monographie habe ich ein begleitendes Weblog aufgesetzt, das den Entstehungsprozess des Buch dokumentiert hat. Allerdings habe ich deutlich weniger „thoughts in progress“ gebloggt, als ich das zu Beginn vermutet hatte. Es entsprach meiner Arbeits- bzw. Schreibweise besser, Gedanken direkt in Manuskriptform zu verfassen, als in einem Blogeintrag, der argumentativ etwas anders ausholen muss als eine Buchpassage.
Gutachtertätigkeiten: Die Kommunikation mit den anfragenden Kolleg/innen verläuft eigentlich immer auf elektronischem Wege, gelegentlich auch die Verwaltung meiner reviews bzw. die Eingabe in ein onlinegestütztes Journal- oder Konferenz-Management-System. Eine Ausnahme ist die Arbeit in der Redaktion von „Medien & Kommunikationswissenschaft“, das vom Hans-Bredow-Institut herausgegeben wird; hier finden wöchentliche Redaktionssitzungen statt, auf denen die eingegangenen Manuskripte sowie die Reviews von uns sowie externen Reviewer/innen besprochen werden.
informelle Kommunikation mit Kollegen: Gefühlt nimmt da der Austausch in der Teeküche, beim Mittagessen oder in den Pausen einer Konferenz ungefähr genauso viel Raum ein wie die Konversationen via Twitter oder Facebook. Auf keinen der beiden Wege würde ich verzichten wollen.
4. Beschreiben Sie die typischsten Formen wissenschaftlicher Kommunikation (Monographie, Journalartikel, Konferenzpaper, …) innerhalb Ihrer Disziplin und deren Entwicklung im Verlauf Ihrer Karriere.
In der Kommunikationswissenschaft haben in den letzten Jahren die peer-reviewed Journalartikel meiner Wahrnehmung nach deutlich an Bedeutung gewonnen. Trotzdem scheint mir, dass das Buch, insbesondere die Monographie, nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und besonderes Prestige besitzt – allerdings ist die Zeit, ein solches zu verfassen, immer knapper.
5. Inwieweit sind Sie im Rahmen Ihrer wissenschaftlichen Ausbildung auf Ihre heutige Arbeitsweise adäquat vorbereitet worden?
Was die „Primärfertigkeiten“ angeht (analytisches Denken und empirische Methoden), bin ich sehr zufrieden mit dem Soziologie-Studium in Bamberg :-).
Wie ich diese Fertigkeiten in konkreten Projekten anwende und wie ich das gewonnene Wissen innerhalb und ausserhalb der Wissenschaft vermittle, konnte ich mir zum Glück während meines beruflichen Werdegangs in Bamberg und ab 2007 in Hamburg durch „learning by doing“ aneignen. Dies war aber kein Teil meiner „Ausbildung“ im Sinne eines von außen vorgegeben Lernrahmens, sondern konnte geschehen, weil ich sehr viele Freiheiten hatte, meinen eigenen Weg zu finden – teils selbstorganisierte, teils mir gewährte Freiheiten.
6. Inwieweit werden Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen heute in Hinblick auf digitale Tools und Infrastrukturen adäquat ausgebildet?
Ich habe keinen wirklich guten Einblick in die Lehre und die Arbeitsbedingungen direkt an den Universitäten. Mir scheint aber, dass es wie so oft eher punktuell geschieht bzw. von den Initativen einzelner Personen bzw. Teams an Lehrstühlen oder in Instituten abhängt. Die Handreichung „Web 2.0 in der Hochschule“ für die Hochschulrektorenkonferenz, an der ich mitgearbeitet habe, hilft hoffentlich weiter, dass der Blick für die Potenziale noch geschärft wird.
7. Wie wirkt sich der Einsatz digitaler Werkzeuge und Infrastrukturen innerhalb Ihrer Disziplin insgesamt aus? Sind etwaige Veränderungen Ihrer Meinung nach positiv oder negativ zu bewerten?
Auch wenn es, wie immer bei Werkzeugen, letztlich auf den konkreten Gebrauch ankommt, beurteile ich die Veränderungen des wissenschaftlichen Arbeitens durch die Digitalisierung unterm Strich als positiv. Meine Disziplin, die Kommunikationswissenschaft, scheint mir hier nicht besser oder schlechter aufgestellt zu sein als andere Disziplinen. Ich glaube, dass durch digitale Technologien die interne Organisation des wissenschaftlichen Arbeitens verbessert, aber auch dass der Austausch und die Vernetzung zwischen Wissenschaftler/innen gesteigert wird, was die Chance auf innovative Ideen und Inspirationen erhöht. Nicht zuletzt bin ich überzeugt davon, dass das Internet es erleichtert, wissenschaftliche Erkenntnisse an eine breitere Öffentlichkeit zu vermitteln und so etwas an die Gesellschaft zurückzugeben, die uns bezahlt.
8. Wie hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit Ihrer Meinung nach durch das Internet verändert? Wie sind beispielsweise nicht-wissenschaftliche Quellen wie Wikipedia zu beurteilen?
Wie bereits angedeutet: Das Internet erleichtert es, wissenschaftliches Wissen an die Öffentlichkeit zu vermitteln, auch im Sinne einer Bringschuld von uns Akademiker/innen. Wikipedia halte ich für ein – trotz aller Probleme im Detail – fantastisches Phänomen, das im besten Sinne aufklärerische Ziele verfolgt und sich dabei auch wissenschaftlicher Strategien bedient (objektive Darstellung von Sachverhalten; diskursive Aushandlung von Konflikten mit – idealerweise – dem Primat des besseren Arguments). Dass die Wikipedia in Hausarbeiten oder Referaten zitiert wird, ist kein Problem der Wikipedia, sondern eins des institutionellen Kontexts Schule oder Hochschule, wenn dort nicht ausreichend genug vermittelt wird, wann welche Quelle angemessen ist und wie man ihre Verlässlichkeit überprüft.
9. Haben digitale Werkzeuge/Infrastrukturen zu einer Demokratisierung wissenschaftlicher Kommunikation geführt? Sind typische (Kommunikations-)Hierarchien im Wissenschaftsbetrieb „flacher“ geworden?
Das kann man pauschal wohl nicht sagen, auch weil entsprechende Hierarchien nicht nur durch die Wahl der Kommunikationskanäle (re-)produziert werden, sondern sich aus ganz handfesten Machtunterschieden speisen, die z.B. durch die Verfügungsgewalt über knappe Ressourcen (Forschungsförderung, Assistenzstellen, etc.) zustande kommen. Ich hatte das Glück, an meinen bisherigen beruflichen Stationen nie persönlich eine starke einengende universitäre Hierarchie erleben zu müssen, insofern nehme ich auch keine ausgeprägte „Demokratisierung“ wahr. Sowohl im akademischen Alltag als auch beim eher informell-freundschaftlichen Austausch ist der Ton kollegial und konstruktiv, zu manchen Personen auch freundschaftlich. War das vor zehn oder dreissig Jahren anders? Ich kann es nicht beurteilen.
10. Bilden sich Ihrer Meinung nach durch digitale Werkzeuge/Infrastrukturen/ Kommunikationstechnologien neue wissenschaftliche Eliten heraus?
Die Technologien erleichtern es, Reputation und Netzwerke aufzubauen, also zwei mögliche Grundlagen für einen Elite-Status. Ich glaube, dass es Wissenschaftler/innen gibt und geben wird, die mit diesen Werkzeugen erfolgreicher umgehen können als andere, und so gewonnene Reputation und Sozialkapital möglicherweise auch in einflussreiche Schlüsselpositionen innerhalb des akademischen Systems werden „eintauschen“ können.
Bisher sehe ich keine Gefahr, dass bestimmte Gruppen innerhalb des wissenschaftlichen Systems den Zugang zu diesen Technologien beschränken bzw. monopolisieren könnten, sodass ich keine Gefahr einer problematischen, weil abschottenden Elite-Bildung sehe. Allerdings gilt dies im globalen Maßstab wohl nur auf „unserer“ Seite der digitalen Spaltung. Die Situation an Hochschulen in Entwicklungsländern wird in dieser Hinsicht wohl anders bzw. problematischer sein (z.B. was den Zugang zu Breitbandverbindungen angeht), aber das tatsächliche Ausmaß dieser Unterschiede kann ich nicht einschätzen.
Sehr guter Artikel. Mich interessieren wissenschaftliche und politische Themen aber generell. Leider bin ich einer der gut ausgebildeten deutschen Staatsbürger, die trotz Fachkräftemangel noch keine Festanstellung fanden …